Es soll einer der ersten Erfolge der neuen türkis-grünen Regierung werden: die Teiltauglichkeit. Sie soll es bisher Untauglichen erlauben, einen eingeschränkten Innendienst beim Heer oder beim Zivildienst zu leisten. Erst vor wenigen Tagen kündigte die neue Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) an, die Teiltauglichkeit beim Bundesheer sehr rasch umsetzen zu wollen. Sie ist damit nicht allein. Seit die Anzahl der Stellungspflichtigen sinkt und der Anteil der Tauglichen schrumpft, wird in Österreich debattiert, was dagegen unternommen werden kann. Dabei steht weniger das Bundesheer im Fokus, sondern das Sozial- und Gesundheitssystem, das – zumindest derzeit – in Teilen wie dem Rettungswesen von Zivildienern aufrechterhalten wird.
Zivildiener sind vor allem eines: günstige Arbeitskräfte. Das weiß man auch im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus zu schätzen, dem das Ressort Zivildienst seit kurzem zugeordnet ist. So begründet man die Ressortverschiebung aus dem Kabinett der Ministerin Elisabeth Köstinger folgendermaßen:
„Jede Stadt und jedes Dorf braucht Zivildiener. Wenn wir das Leben in Österreichs Gemeinden, Ländern und Regionen zukunftsfit weiterentwickeln wollen, geht das nicht, ohne den Zivildienst mitzudenken. Darum ist es gut und richtig, dass der Zivildienst künftig im Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) angesiedelt ist. Denn: Zivildienst IST Regionaldienst!“
Als Anfang 2019 die jüngsten Zahlen zu den Stellungspflichtigen bekannt wurden, schlugen zuallererst die Rettungsorganisationen öffentlichkeitswirksam Alarm. Denn viele Untaugliche bedeuten auch weniger Zivildiener.
Der erste Politiker, der sich letztes Jahr zum Thema zu Wort meldete, war der Klubobmann der oberösterreichischen Grünen, Gottfried Hirz. Er ist selbst ehemaliger Zivildiener und bis heute beim Roten Kreuz engagiert. Er forderte die damalige türkis-blaue Bundesregierung auf, Untaugliche zum Zivildienst zuzulassen. Außerdem regte Hirz unterschiedliche Tauglichkeitskriterien für Zivildienst und Heer an:
Die Bundespolitik stieg kurz darauf in die Debatte ein. Die damals für den Zivildienst zuständige Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) regte an, die Tauglichkeitskriterien zu lockern. Als Begründung dafür nannte sie uns gegenüber „Rückgang der Stellungspflichtigen aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge“ und den Umstand, „dass immer weniger junge Männer wehrtauglich sind“. Ihr gehe es grundsätzlich darum, „möglichst viele junge Menschen für den Zivildienst begeistern zu können, dass sie ihren Dienst hier in der Mitte der Gesellschaft in sehr wesentlichen Bereichen tun, etwa im Katastrophenschutz oder auch im Rettungswesen“.
Das Bundesheer selbst sieht den ÖVP-Plan kritisch, denn laut Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofs sei keine „Teiltauglichkeit“ möglich. Vereinfacht gesagt muss demnach ein Stellungspflichtiger für die militärische Ausbildung und den militärischen Dienst geeignet sein, um überhaupt tauglich zu sein. Im Gerichtserkenntnis heißt es:
„Der Dienst im Bundesheer umfasst jedenfalls eine militärische Komponente (…) Dies bringt die Anforderung mit sich, dass der Betreffende jedenfalls eine Waffe bedienen und ein gewisses Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln kann.“
Die im Rahmen der Stellung angewandten Tauglichkeitskriterien richten sich bis heute nach den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Wehrdienst. Laut Wehrgesetz 2001 müssen taugliche Wehrpflichtige für eine Verwendung im Bundesheer geeignet sein und damit ein Mindestmaß an Beweglichkeit und Kraftanstrengung aufbringen, um etwa eine Waffe bedienen und eine „militärische Basisausbildung“ absolvieren zu können.
„In Entsprechung dieser rechtlichen Vorgaben wurden und werden die Tauglichkeitskriterien stets in enger Abstimmung mit den geltenden Ausbildungsinhalten des Grundwehrdienstes mit dem Ziel entwickelt und angepasst“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. So müsse etwa das Risiko einer Erkrankung oder gesundheitlichen Beeinträchtigung durch den Wehrdienst (oder Zivildienst) minimiert werden, und es gehe darum, dass dem Heer nur „weitgehend geeignete Wehrpflichtige“ für die Erfüllung der Einsatz- und Ausbildungsaufgaben zur Verfügung stehen.
Das Ergebnis der Stellung ist die Wertungsziffer, landläufig bekannt als „Tauglichkeitsstufe“. Die Skala dieses Talente-Checks, bei dem die geistigen und körperlichen Stärken und Schwächen erfasst werden, reicht von 0 bis 9. Das Ergebnis „Tauglich“ erhalten Stellungspflichtige mit dem Wertungsziffer-Ergebnis zwischen 2 und 9.
Ab der Wertungsziffer 7 besteht die Möglichkeit, bei der Militärpilotenauswahl teilzunehmen.
Wer die Wertungsziffer 1 erreicht, ist „Vorübergehend untauglich“. Das heißt, dass der Stellungspflichtige aufgrund eines medizinischen oder psychologischen Problems eine Beobachtungsfrist erhält. Nach dieser erfolgt eine neuerliche Stellung. Mit der Wertungsziffer 0 ist man „Untauglich“, muss weder Wehr- noch Zivildienst leisten.
Dem österreichischen Plan, die Tauglichkeitskriterien zu lockern, kann der deutsche Heeresexperte Carlo Masala übrigens wenig abgewinnen. Der Professor an der Universität der Bundeswehr in München meint: „Die Tauglichkeitskriterien zu lockern, ist eine schlechte Entscheidung, weil sie junge Männer in die Armee bringt, die eigentlich nicht fit für diese Armee sind.“
Er sieht andere Beweggründe hinter der Entscheidung in Österreich: „Das ist eine Entscheidung, die aufgrund sozialpolitischer und sozioökonomischer Überlegungen und nicht aufgrund militärischer Überlegungen gefällt wird “, so Masala. „Die Tauglichkeitskriterien werden vor allem deswegen gelockert, damit man die Zivildienstleistenden bekommt, die man in Österreich braucht.“
Die Ausgangssituation: Im Bundesschnitt beträgt der Anteil der Untauglichen 24,4 Prozent. Das zeigt die aktuelle Detailauswertung des Verteidigungsministeriums zum Geburtsjahrgang 1998. Demnach waren von den 40.500 Stellungspflichtigen 30.600 Männer tauglich, 9.900 untauglich.
Die Zahl dieser knapp 10.000 Untauglichen bleibt zwar seit Jahren relativ konstant, doch insgesamt sinkt die Zahl der Stellungspflichtigen aufgrund von geburtenschwachen Jahrgängen. So umfasste der Geburtsjahrgang 1985 noch 46.793 Stellungspflichtige, beim 2001er-Jahrgang waren es nur noch 37.007.
Hinzu kommt, dass sich in den vergangenen zehn Jahren der Anteil an Geburten mit ausländischer Staatsbürgerschaft fast verdoppelt hat und bei mittlerweile 20 Prozent der Gesamtzahl liegt.
Hauptgründe für die Untauglichkeit sind laut Bundesheer der Lebensstil der jungen Männer und Umwelteinflüsse, genannt werden in diesem Zusammenhang Bewegungsarmut, Allergien, Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats sowie der inneren Organe, eingeschränkte Sehkraft und Hörvermögen sowie psychische Ursachen.
Eine Anfragebeantwortung des damaligen Verteidigungsministers Kunasek vom Mai 2018 zeichnet ein etwas konkreteres Bild: Bei Stellungspflichtigen, die aufgrund einer einzelnen Krankheit untauglich sind, steigt die Anzahl der Diagnosen im Bereich „Psychische und Verhaltensstörungen“ sowie im Bereich „Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen“ seit dem Jahr 2007 leicht an. Starkes Übergewicht kann ebenfalls ein Untauglichkeitsgrund sein: Im Jahr 2017 schieden aufgrund von Adipositas 1.194 junge Männer aus dem System aus. Das waren 2,54 Prozent aller Stellungspflichtigen. Zum Vergleich: Österreichweit sind rund 16 Prozent der Erwachsenen fettleibig (Body-Mass-Index über 30), am häufigsten sind Männer im Alter zwischen 55 und 74 Jahren von Adipositas betroffen.
56,1 Prozent der Stellungspflichtigen (17.200 Männer) melden sich aktuell zum Grundwehrdienst und 43,9 Prozent (13.400) zum Zivildienst. Die Zivildienstmeldungen gehen seit 2015 generell leicht zurück.
Bei der Entscheidung zwischen Heer und Zivildienst gibt es große regionale Unterschiede: Nur in Wien und Vorarlberg entscheiden sich noch mehr Taugliche für den Zivildienst und gegen das Militär. So ist in der Hauptstadt der Anteil der Wehrdiener mit 46,5 Prozent am geringsten. Ganz im Gegensatz zu Kärnten, wo sich fast drei Viertel der jungen Männer für das Bundesheer entscheiden.
Die neue Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) will nun jedenfalls dafür sorgen, dass die Zahlen der Wehr- und Zivildiener steigen. Derzeit seien etwa dreißig Prozent der Stellungspflichtigen untauglich. Nur wer aufgrund einer „körperlichen oder geistigen Behinderung“ nicht in der Lage ist, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, muss auch in Zukunft nicht zum Bundesheer oder Zivildienst. Alle anderen müssen sich wohl darauf einstellen, dass Aufgaben für sie gefunden werden, die laut Tanner „ihren besonderen Fähigkeiten“ entsprechen.